Toxisch! Julia Roberts, George Clooney in «Ticket to Paradise» (2024)

Clooney und Roberts müssen wieder zusammenkommen: auf der Leinwand als Liebende, für die Kulturindustrie als Kassenmagneten. Aber diese Paartherapie zweier Babyboomer kippt in eine krankhaft romantische Illusion.

Daniel Haas

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Dieser Film dauert 104 Minuten, und am Ende des zweiten Akts fragt man sich: Was haben sich die Drehbuchautoren gedacht, als sie das Script abgeliefert haben? Hoffentlich merkt keiner, dass wir den Leuten eine toxische Familiengeschichte unterjubeln? Hoffentlich begreift keiner, dass das Konzept von romantischer Liebe, das wir dem Kinogeher andienen, gar nicht romantisch, sondern narzisstisch und in letzter Konsequenz beschämend ist?

Und haben die Produzenten dieses Gehirnwäschekinos ihrerseits geunkt: Wenn wir diese Klamotte nur gross genug besetzen, dann werden die Leute die ideologische Schmiere, die wir den Zuschauern zumuten, gar nicht als solche registrieren? Sie werden lachen und weinen vor Rührung, und am Ende sind die Kassen voll. War das die Idee?

«Ticket to Paradise» präsentiert zwei der grössten Stars ihrer Generation: George Clooney und Julia Roberts. Die Regie von Ol Parker sieht vor: Clooney und Roberts sind seit Jahren geschieden, haben eine erwachsene Tochter. Die hat gerade ihr Jura-Staatsexamen gemacht, lernt aber in den Bali-Ferien einen Algen-Fischer kennen, den sie prompt heiraten will. Reisen Clooney und Roberts, die in Scheidung verbundenen Feinde, also dorthin, um die Heirat der Tochter zu verhindern.

Der neue Cary Grant

Clooney war lange der hübsche Fernseharzt aus der Serie «Emergency Room». Er schaffte den Karrieresprung ins Kino und mauserte sich über die Jahre zur Fachkraft für die Darstellung selbstironischer Männlichkeit. Spätestens als er in «Out of Sight» (Regie: Steven Soderbergh) den Gangster spielte, der ausgerechnet eine Polizistin umgarnt (Jennifer Lopez in ihrer einzigen erträglichen Filmrolle), war klar: Dieser Typ konnte viril und zugleich amüsiert sein von sich selber.

Ein neuer Cary Grant ward der Kulturindustrie geboren, und Hollywood bewirtschaftete seinen Charme, mit allem, was die Rührseligkeitsdramaturgie hergab. In den letzten Jahren versuchte er sich als ernst zu nehmender Künstler mit Regieaspirationen. Für Netflix drehte er den irgendwie kulturkritischen Science-Fiction-Film «The Midnight Sky». Er spielte die Hauptrolle des von Erkenntnisekel und Kulturennui zerknitterten Intellektuellen – mehr schlecht als recht, muss man sagen.

Julia Roberts ist so berühmt, dass sie sich im Liebesfilm «Notting Hill» selber spielen konnte, nur eben als Leinwandfigur. In diesem für ihre Karriere paradigmatischen Werk verkörpert sie den amerikanischen Hollywood-Megastar, der sich in einen englischen Buchhändler verliebt. Der Film machte klar, dass eine überragende Schauspielerin auch grössten Kitsch – Kitsch verstanden als Gerührtsein von der eigenen Sentimentalität – plausibel und klug erscheinen lassen kann.

Ihr Gesicht, das eigentlich nicht schön, sondern auf suggestive Weise markant ist, wurde zur Ikone einer empfindsamen Weiblichkeit. Wenn Julia Roberts lächelt, da waren sich Kinogeherinnen und Kinogeher einig, gehen die Sonne und der Mond gleichzeitig auf. Klugheit, Verletzlichkeit, erotische Subtilität: Das alles ist in Roberts’ Könnerschaft enthalten.

Roberts muss zum Yoga

Nach Auftritten in vielen passablen bis schrecklichen Kinoromanzen brillierte sie in zwei exzellenten Filmen: In «Wonder» und «Ben is Back» erschien sie abgeschminkt und altersgemäss hergerichtet. Sie spielte Frauen, die aufgrund der Probleme ihrer Söhne emotional unter die Räder kommen. Roberts verwandelte sich von der Romanzen-Beauty in eine Grossdarstellerin psychisch-gesellschaftlicher Notlagen.

In «Ben is Back» muss sie mit der Drogensucht ihres Sohnes klarkommen, was nicht geht, weil mit einer aktiv ausgelebten Suchterkrankung niemand klarkommen kann. Sie spielte so gut, dass Betroffene wie Psychotherapeuten erschüttert waren. Und Hollywood freute sich: Endlich gab es eine Verwendung für diese fast 50-Jährige – als Mutter in dem auf die Babyboomer-Generation zugeschnittenen Problemkino.

Bei «Ticket to Paradise» hat man nun anscheinend vergessen, dass sich Rollenprofile nicht ewig verwerten lassen. Clooney soll wieder Cary Grant sein, ein augenzwinkernd an den Frauen und ihrer Aufsässigkeit leidender Macho. Und Roberts gibt die selbstbewusste Lady, die aber in dieses Selbstbewusstsein eingesperrt ist und hinausmuss – zum Yoga, zur Liebe, zum Glück.

Dieses Film-Bali ist ein paradiesisches Utopia, wo sich alle selbstlos lieben. Die indigene Bevölkerung hat von den sozialen und mentalen Verzerrungen, die der Kapitalismus seinen Akteuren zumutet, so gar nichts abgekriegt. Der balinesische Bräutigam sieht aus, wie man sich in Hollywood einen George Clooney aus Bali vorstellt, nur eben in jung. Kaitlyn Dever spielt die Braut/Tochter als von Naturschönheit und Männergüte gerührtes Girl, das die Karrierewünsche in dem Moment vergessen hat, als der nette Beau «Ich liebe dich» haucht.

Toxisch! Julia Roberts, George Clooney in «Ticket to Paradise» (2)

Von der kulturellen Aneignung nicht zu reden

Toxisch, um das Modewort noch einmal anzuwenden, ist die Hintertriebenheit, mit der die Eltern das Paar auseinanderbringen. Clooney und Roberts sind die narzisstisch gekränkten Eltern, die das Scheitern der eigenen Ehe auf die Zukunft der Tochter proji*zieren. Das Script gönnt Roberts einen deutlich jüngeren Liebhaber, einen Piloten, dessen romantische Kenntnis sich auf Heiratsanträge im falschen Moment beschränkt.

Clooney ist in seinem väterlich geboosterten Grössenwahn irgendwann so öde, dass man auf die normalerweise auftretende Millennial-Frau wartet, mit der er sich dann ein bisschen trösten kann. Das pseudowoke Romanzenkino entsexualisiert hier den Mann und lässt die Heldin, also Roberts, als neurotische Männerwegputzerin dastehen – unter dem Vorwand der antipatriarchalen Selbstermächtigung. Mit der kulturellen Aneignung – weisse Angelsachsen benutzen eine indigene Kultur fürs antikapitalistische Entgiften – will man gar nicht anfangen.

Clooney und Roberts sollen und müssen wieder zusammenkommen – auf der Leinwand als Liebende, für die Kulturindustrie als Kassenmagneten. In der Filmerzählung ist das Seelenheil der Tochter nur der Vorwand für die Paartherapie zweier Babyboomer, die mit übelsten narzisstischen Mitteln (Lügen, Manipulieren, die Wahrnehmung des anderen verwirren) ihren Narzissmus überwinden wollen. So kippt der Film in eine krankhaft romantische Illusion. Soll das lustig sein? Gefühlvoll? Dann kann man sich auch die Leidensberichte von Opfern solch übler Affären durchlesen. Die sind auch schrecklich. Aber wenigstens ehrlich.

Im Kino.

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